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Am 30 November 2014 erschien im Sonntagsblick untenstehender Artikel.
Die Zeilen werden hier wortwörtlich zitiert.
 
Zitat

© Sonntagsblick; 30.11.2014; Ausgaben-Nr. 48; Seite a26

Tessiner Dorfkrach um Gülle, Land und Kühe – jetzt greift die Bundesrätin ein

Doris Leuthards schrägster Einsatz

VON FLORIAN IMBACH

Der Streit in einem Tessiner Bergdorf eskaliert, weil der Kanton jahrelang wegschaute, wie Betroffene klagen.

Das Bergdorf Ces im Nordtessin ist ein Weiler mit vielleicht zwanzig Häusern und ein paar Hektaren Land. Nur ein schmaler Pfad führt nach oben. Mit dem Auto ist kein Durchkommen. Von Chironico, dem nächstgrösseren Dorf, dauert der Aufstieg zwei Stunden.

Doch die Idylle trügt: Seit Jahren tobt hier ein erbitterter Nachbarschaftsstreit. Weil die Tessiner Behörden bislang lieber wegschauten, musste vor wenigen Wochen sogar Doris Leuthards Umweltdepartement eingreifen.

Ein seltener Vorgang im föderalen Bundesstaat: Das Uvek der CVP-Bundesrätin will die Dörfler per Aufsichtsentscheid zwingen, sich endlich um die Einhaltung der Gewässerschutzvorschriften zu kümmern. Abwasser und Gülle – für Leuthard der wohl schrägste Einsatz seit Beginn ihrer Amtszeit.

An einem nebligen Herbsttag sitzt der Ostschweizer Bauer Reto Tännler* in seiner Wohnung vor einem Berg von Unterlagen: Bodenpläne und Briefe ans Umweltamt und die Regierung des Kantons; die neusten richten sich an Doris Leuthard. Seit Jahren kämpft Tännler, wie er sagt, in seinem Bergdorf um Recht und Ordnung. Es geht um Gülle, die ungefiltert im Boden versickert. Mehr noch: Er werde von seinem Land vertrieben. «Ich weiss nicht mehr, wie weiter. Dort oben herrscht ein rechtsfreier Raum – und niemand unternimmt etwas.»

Aussteiger-Probleme

Tännler kaufte das Land in Ces und umliegende Maiensässe vor acht Jahren: «Ich wollte etwas aufbauen.» In der Ostschweiz gehören ihm Rinder und Pferde. Seine Idee: die Tiere den Sommer über ins Tessin zu bringen. Er träumte von einem Ferienbetrieb. Doch nur für eine Saison durften seine Tiere auf die Alp. Dann begannen die Probleme. Die Probleme mit den Aussteigern.

Die wohnen bereits seit vier Jahrzehnten hier. Ihre Stiftung «zur Wiederbelebung von Ces» hat sich zum Ziel gesetzt, das Dorf auf- und auszubauen. Sie holt Freiwillige ins Bergdorf, die dort mithelfen und oft auch wohnen bleiben. Die Aussteiger führen ein einfaches Leben, sie lieben die Abgeschiedenheit, die Nähe zur Natur.

Doch Tännler sagt, er werde von ihnen bedroht; seine Tiere führe er aus Angst nicht mehr nach oben.

Der Aussteiger-Bauer Faber*, einer seiner Widersacher, wohnt schon seit den 70er-Jahren in Ces. Er baute einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb auf und hält eine Handvoll Kühe. Er und die Stiftung nutzen Tännlers Land – ohne Einwilligung. An Vorschriften halte sich «dort oben» niemand, sagt der Ostschweizer: «Mein Land wird widerrechtlich besetzt!» Seit Jahren versuche er sich zu wehren, aber die Tessiner Behörden kümmerten sich nicht darum.

Die Aussteiger in Ces schütteln den Kopf: Wegen ein paar Kühen einen solchen Aufstand zu machen, verstehe hier niemand. Tännler sei ja nie anwesend; zudem wolle er sich nicht integrieren.

Bedroht und verjagt

Bisweilen kommt es sogar zu Handgreiflichkeiten: Der deutsche F. K. hält eine Scheune Tännlers besetzt. Als Marcello Moser (62), ein Freund des Ostschweizers, im September letzten Jahres das Gebäude begutachten wollte, wurde er von dem Aussteiger bedroht und verjagt.

So steht es in der von Moser eingereichten Strafanzeige. Er meint: «Es kann doch nicht sein, dass ich als Schweizer vertrieben werde, während ein Deutscher Land und Gebäude besetzt.» Die Sache ist nicht einfach zu entscheiden: Parallel läuft seit Jahren eine diffizile Güterzusammenlegung der kleinteiligen Landstücke.

Bald werden sich weitere Berner Beamte in den Streit einschalten. Denn es geht auch noch um Geld. Das Tessin hat Direktzahlungen an den Aussteiger-Bauern Faber überwiesen, obwohl ein Teil des subventionierten Landes dem Ostschweizer Tännler gehört. Der wiederum will nun gegen die «unrechtmässige Nutzung» klagen. Mit der Folge, dass das Bundesamt für Landwirtschaft die Zahlungen unter die Lupe nehmen muss.

Immerhin kommt nach Leuthards Einsatz nun Bewegung in die Sache. Seit einer Gemeindefusion ist die Verwaltung in Faido für den Streit zuständig, wo derzeit Gemeindeschreiber Claudio D’Alessandri (62) der Affäre auf den Grund zu gehen sucht.

Nachdem sich Bundesbern eingeschaltet hat, muss sich die Gemeinde intensiver um das Problemdorf kümmern; das ist auch dem Gemeindeschreiber klar. Zu beneiden ist er nicht, denn neben Landbesetzung und Gewässerschutz gibt es noch weitere Probleme. D’Alessandri: «In Ces lebten immer wieder Personen, vor allem Ausländer, ohne Bewilligung.» Im August inspizierte die Verwaltung die Lage zusammen mit der Polizei. Demnächst will der Gemeindeschreiber alle Beteiligten an einen Tisch bringen. Seine Hoffnung: Die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären.

Möglichereise hat dann zumindest Leuthards Departement in Bern wieder etwas mehr Ruhe.

* NAMEN GEÄNDERT MITARBEIT: MYRTE MÜLLER

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